Erkältung: Wie sinnvoll sind Komplexmittel?
Mit der Herbstzeit beginnt auch wieder die Zeit der Erkältungen und grippalen Infekte. Als solche werden unkomplizierte Infekte der oberen Atemwege bezeichnet, die vorwiegend von Rhinoviren ausgelöst werden.
Was kann man tun, wenn es einen erwischt hat? Schnell wieder gesund werden mit den Erkältungsmitteln aus der Werbung? Halten diese tatsächlich was sie versprechen, oder sind sie nur rausgeschmissenes Geld mit hohem Nebenwirkungspotenzial?
Es kommt drauf an!
Nämlich darauf, welche Erwartungen man an das Mittel stellt.
Wichtig zu wissen ist auf jeden Fall, dass keins der gängigen Mittel einen "schneller wieder gesund" macht.
Das liegt daran, dass Erkältungen nicht ursächlich behandelt oder verkürzt werden können. Man kann lediglich die Symptome lindern - darauf zielen auch die Kombinationsmittel ab.
Wenn man also gerade genau die Symptome hat, gegen die das Komplexmittel wirkt, und keine gesundheitlichen Aspekte dagegen sprechen kann die Einnahme durchaus sinnvoll sein.
Die Firmen haben das aber Rad nicht neu erfunden: Die gängigen vielversprechend angepriesenen Erkältungsmittel enthalten keine besonderen, neuartigen, revolutionären Inhaltsstoffe - sondern kombinieren lediglich bewährte Mittel.
Wenn damit geworben wird "so und so viele Erkältungssymptome gleichzeitig" zu bekämpfen - werden oft gleichartige Symptome aufgezählt, die ohnehin von einem Wirkstoff gleichzeitig bekämpft werden: Wie zum Beispiel "Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Halsschmerzen und Fieber" - gegen all diese Sachen wirkt ein klassisches Schmerzmittel wie zum Beispiel Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen.
Häufig enthalten Komplexmittel zusätzliche Substanzen, die zwar ergänzend sinnvoll sein können, aber im Prinzip nicht gegen "Erkältungsbeschwerden" notwendig sind - und damit das Nebenwirkungspotenzial erhöhen. Bei ansonsten gesunden Personen kann solch eine Kombi im Gesamtpaket kurzfristig geeignet sein.
Andersherum können auch Kombinationsmittel als besonders wirksam beworben werden, die eigentlich nur eine hauptsächlich wirksame Komponente haben, die man ebenso gut als Monopräparat einnehmen könnte. Grippostad, "Deutschlands Erkältungsmittel Nr1" enthält z. B. als wesentliche Wirkkomponente Paracetamol.
Die meisten Kombinationen enthalten:
Schmerz- und Fiebermittel
Helfen gegen Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Gliederschmerzen, Fieber, ggf. Entzündungen. Dieses ist in den meisten Erkältungsmitteln die Hauptkomponente.
Achtung: Einige Formulierungen in der Werbung klingen so, als wären die jeweiligen Produkte allgemein "schon bei den ersten Anzeichen einer Erkältung" hilfreich. Sollte aber gar keines der oben genannten Symptome vorliegen, sondern z. B. nur Halskratzen, Schnupfen, Abgeschlagenheit, dann ist es auch nicht sinnvoll, einen schmerzstillenden Wirkstoff zu einzunehmen.
Reizhustenstiller
Diese sind nur dann sinnvoll, wenn tatsächlich ein trockener Reizhusten ohne Schleimbildung vorliegt. Sitzt der Husten fest in den Bronchien, sollte man ihn tagsüber nicht unterdrücken. Hier ist ein Hustenlöser sinnvoll, der dabei hilft, den Schleim abzuhusten und die Atemwege wieder frei zu machen. Mit bedacht angewendet, kann ein Hustenstiller sinnvoll sein, wenn man den quälenden Husten z. B. in einem Meeting kurzzeitig unterdrücken will.
Schnupfenmittel mit "Wach-Effekt"
Die verwendeten Wirkstoffe binden an adrenergen Rezeptoren im Körper und verengen so die Gefäße der Nasenschleimhaut, was zu Abschwellung führt. Durch den gleichzeitigen adrenergen Effekt im restlichen Körper fühlt man sich dadurch auch wacher und fitter.
Diese Stoffe können bei gesunden Personen kurzfristig nützlich sein, wenn man den Tag "überstehen" muss, Sie verschleiern aber auch die Symptome was dazu führen kann, dass man sich überschätzt und zu wenig ausruht.
Wenn man gegen den Schnupfen nur die abschwellende Wirkung möchte, tut es genauso gut auch ein einfaches Nasenspray.
Schlaffördernde Antihistaminika
Viele Erkältungsmittel enthalten ältere Antihistaminika. Das sind entweder Stoffe die gegen Allergien eingesetzt werden und als Nebenwirkung müde machen, oder aufgrund dieser Nebenwirkung direkt für Schlafstörungen zugelassene Produkte. Den Antihistaminika wird gern eine Reduzierung von Schnupfensymptomen und Reizhusten zugeschrieben, jedoch ist die Datenlage für diese Wirkung im Rahmen einer Erkältung gering. Anders als bei Allergien, spielt der Botenstoff Histamin keine übergeordnete Rolle im Entzündungsgeschehen.
Kurzfristig, wenn man durch Erkältung sehr schlecht schläft, kann es angenehm sein, einen "Müdemacher" einzunehmen. Es ist aber nicht standardmäßig bei Erkältungen notwendig. Ich habe noch nie erlebt, dass erkältete Kund:innen von sich aus nach einem Schlafmittel fragen.
Zusätze wie Vitamin C, Coffein oder Zink haben bei bereits bestehender Erkältung keinen nachgewiesenen Effekt, diese schneller auszukurieren.
Beispiele im Check:
Grippostad C®:
Wie bereits im Text erwähnt, ist die einzig belegt wirksame Komponente das Schmerz- und Fiebermittel Paracetamol.
Die Studienlage für Chloramphenamin - ein älteres Antiallergikum, was Schnupfen und Reizhusten lindern soll - ist dünn. (Bei Erkältungsschnupfen spielen andere Faktoren eine Rolle als bei Allergischem Schnupfen) Dafür kann Sedierung als Nebenwirkung auftreten.
Andererseits enthält das Produkt Coffein, eine Einzeldosis (entspricht 2 Kapseln) enthält 50 mg davon. Das ist etwa so viel, wie eine halbe Tasse Kaffee. Ihm wird hier herstellerseits vor allem eine Wirkung als Co-Analgetikum zugeschrieben: Also, es verstärkt die Wirkung des Schmerzmittels, sodass davon insgesamt weniger verwendet werden muss. Jedoch wird die Schmerzmittelmenge in diesem Präparat nicht wesentlich reduziert - bzw. andersherum gesagt: die Menge, die man normalerweise ohne Coffein einnehmen würde, ist auch nicht "zu viel". Die Tagesmaximaldosis für Erwachsene ohne besondere Vorerkrankungen für Paracetamol liegt je nach Körpergewicht bei 3000-4000 mg. Die Standarddosis von üblichen Paracetamoltabletten beträgt 500 mg pro Tablette. Nimmt man im Rahmen einer Erkältung 3x täglich eine Tablette, liegt man mit 1500 mg absolut im sicheren und sinnvollen therapeutischen Rahmen. Nimmt man 3xtägl. 2 Kapseln Grippostad C®, so kommt man auf 1200 mg, was keinen wirklichen Vorteil darstellt.
Und zu guter Letzt das Marketingmerkmal Vitamin C - es gibt keine belegte Wirkung für einen besonderen Nutzen auf die Beeinflussung einer bereits bestehenden Erkältung, auch wenn das Vitamin im Allgemeinen für das Immunsystem wichtig ist.
Letztendlich ist das Präparat meiner Meinung nach eine überschätze Kombination, die sich im Grunde durch Paracetamol plus heißer Zitrone ersetzen lässt.
Aspirin Complex®:
Schmerz- und Fiebermittel in diesem Präparat ist Acetylsalicylsäure - Diese bekämpft Fieber, Schmerzen und Entzündungen - einige Risikofaktoren sind jedoch zu beachten.
Pseudoephedrin ist als Schnupfenmittel und Stimulans enthalten. Es verengt Gefäße, dadurch schwillt die Nasenschleimhaut ab, aber der Blutdruck steigt auch und es kommt zum "Wach"-Effekt. Kurzfristig, wenn man "den Tag überstehen" muss, ist dies bei gesunden Personen sinnvoll und effektiv, sollte aber keine Dauerlösung sein. Außerdem muss man sich bewusst sein, dass auch dies nur eine symptomatische Therapie darstellt, und den Erkältungsverlauf nicht verbessert. Im Gegenteil, der stimulierende Effekt kann dazu führen, dass man sich "zu gut" fühlt und sich übernimmt, statt auszukurieren.
Wick Medinait®:
Auch hier ist Paracetamol gegen Schmerzen und Fieber enthalten. Zusätzlich finden wir hier
Dextromethorphan als Komponente gegen Reizhusten sowie Doxylamin - ein antihistaminerg wirkendes Schlafmittel, welches zum Beispiel auch z. B. auch in Hoggar Night enthalten ist.
Gleichzeitig enthält das Produkt Ephedrin - was abschwellend gegen Schnupfen hilft, aber auch aufputschend wirkt - zur Nacht fraglich.
Die Kombi Paracetamol und Dextromethorphan ist durchaus sinnvoll, wenn entsprechende Symptome vorliegen. Kurzfristig wenn man durch Erkältung schlechter schläft und wirklich mal "Ruhe" haben will, ist bei gesunden Personen durchaus auch die Kombination mit einem Schlafmittel okay, aber nicht wirklich lebensnotwendig. Es sollte aus diesem Grund auf jeden Fall ausschließlich zur Nacht angewendet werden.
Wick DayMed®:
Gegen Schmerzen und Fieber wirkt auch im Produkt für den Tag der Wirkstoff Paracetamol. Zusätzlich enthält es Phenylpropanolamin, welches die abschwellende und aufputschende Komponente darstellt. Außerdem findet sich Dextromethorphan gegen Reizhusten in dem Präparat.
Bei gesunden Personen ist dies dann sinnvoll, wenn man den Tag "überstehen" will und genau diese Symptome hat. Auch hier wieder: Achtung Symptomverschleierung und Überschätzung.
Wenn kein trockener Reizhusten, sondern festsitzender Schleim vorliegt, ist das Unterdrücken des Hustens tagsüber nicht angeraten. Dann sollte besser mit Unterstützung von hustenlösenden Mitteln das Abhusten des Schleims aus den Bronchien gefördert werden, um bakterielle Infektionen dort zu vermeiden.
Wick DayNait®:
Das aktuellste Produkt aus der Erkältungsreihe von Wick besteht aus "idiotensicher" vorgefertigten, abgezählten Tages- und Nachtdosen:
Die Tagesdosis enthält:
Paracetamol gegen Schmerzen und Fieber
Pseudoephedrin zum Abschwellen mit aufputschendem Effekt.
Die Nachtdosis enthält:
Ebenfalls Paracetamol gegen Schmerzen und Fieber.
Diphenhydramin als Schlafmittel.
Wenn man genau die Symptome, die das Produkt abdeckt, lindern möchte, kann es sinnvoll sein. Dass kein Hustenreizstiller enthalten ist, ist einerseits nicht schlecht, da oft wie erwähnt gar kein Reizhusten vorliegt. Andererseits klingt die Werbung für das Produkt als wäre es eine revolutionäre Innovation mit einer einzigartige Wirkstoffkombination - dafür wie es vermarktet wird, lindert es eben "nur" Schmerzen/Fieber sowie Schnupfen. Wenn man den aufputschenden Effekt nicht braucht, und auch keine Einschlafprobleme hat, tut es auch Paracetamol und ein abschwellendes Nasenspray.
Fazit:
Kombinationsarzneimittel können bei Gesunden sinnvoll sein, wenn man damit die Symptome bekämpft, die man auch hat. Die gängigen Erkältungsmittel aus der Werbung wirken weder vorbeugend oder verkürzend auf die Erkältung, machen aber die Symptome erträglicher und helfen ggf. besser "durch den Tag" zu kommen. Welches Arzneimittel in Frage kommt, oder ob nicht doch Einzelpräparate besser geeignet sind, erfahren Sie in Ihrer Apotheke!
Bildquelle: https://de.freepik.com/fotos-kostenlos/aeltere-frau-nimmt-pille-mit-glas-wasser-in-der-hand_28092429.htm
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